Sonntag, 18. April 2010

Paulus Peternell
Die innere Freiheit.


Viktor E. Frankl und das neue Jahrtausend.



Das vergangene – das zwanzigste - Jahrhundert, so könnte man meinen, ist jenes, von dem man einmal sagen wird müssen, in ihm habe die Wissenschaft die Welt verändert.

Allerdings ist diese Feststellung höchst oberflächlich und bedarf einer Korrektur.

Nicht die Wissenschaft hat die Welt verändert, denn die Welt hat schon vor der Wissenschaft existiert und sie ist so geblieben, wie sie von Anfang an immer war. Die Wissenschaft hat lediglich neue Erkenntnisse gewonnen, was die Welt und deren Seinszustand betriffT:

Die praktische Auswertung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist es, welche unsre gewohnte und bis zum Ende des 19, Jahrhunderts stabil erscheinende Sicht von der Welt verändert hat.

Die scheinbare Sicherheit eines mechanistischen Weltbildes, wie es Dascartes angeboten hat ist zu einer Unsicherheit hinsichtlich der Erkenntnisfähigkeit menschlicher Gehirne und der uralte Gedanke des „panta Rhei“, alles fließt, alles ist in Bewegung lässt uns, die wir Beständigkeit und Sicherheit erwarten, ratlos und ängstlich die scheinbare Unsicherheit unsrer Existenz erfahren.

Im Rahmen dieser, unsrer, Ängste sucht der Mensch nach Ausblicken, die seinem Leben neben Beständigkeit auch Sinn geben können.

Angesichts des Zustandes unsrer Welt, der Maßlosigkeit des Gewinndenkens, das uns an das Klonen und Herstellen menschlicher Organe und schlachtreifer Menschen denken lässt, das uns bedenkenlos menschliche Embryonen als Zuchtbasis für den vollkommenen Menschen verwenden lässt und vieles andere mehr, ist die Forderung nach einem Umdenken, nach einem Paradigmenwechsel in allen Belangen menschliche Existenz von außerordentlicher Bedeutung und unabdingbar.

Es gibt eine Reihe von Denkern des vergangenen Jahrhunderts, die sich damit eindringlich befasst habe. Hans Jonas ist so einer. Sein Buch „Das Prinzip Verantwortung zum Beispiel stellt in sehr deutlicher Weise dar, in welcher Weise sich unsrer Verantwortung gegenüber dieser Welt verändert hat und wie notwendig es ist, eine globale Ethik zu entwickelt, die dieser Verantwortung gerecht wird.

Das gleiche Problem liegt auch der Frage nach dem Sinn zugrunde

Viktor E. Frankl wurde am 26, März 1905 in Wien geboren, Dr., med und Dr. phil, war Professor für Neurologie und Psychiatrie, zugleich Professor für Logotherapie an der US International University in San Diego (Kalifornien)
Viktor E. Frankl schrieb mehr als 30 Bücher, von denen zahlreiche auch für den Laien verständlich sind.
Bekannt ist sein 1945 geschriebener Bericht „.. trotzdem ja zum Leben sagen“, und seine 1946 geschriebene dramatische Skizze „Synchronisation in Birkenwald“.

In beiden Werken beschreibt Frankl seine Erlebnisse im KZ.
„...trotzdem ja zum Leben sagen“ wurde in 17 Sprachen übersetzt und allein von der amerikanischen Ausgabe wurden mehr als zwei Millionen Exemplare verkauft.
Das allein würde allerdings nichts über die Bedeutung dieses Buches aussagen, wären da nicht grundsätzliche Fragen und Antworten zu dem Thema, das Viktor E. Frankl grundsätzlich beschäftigte, nämlich die Frage nach dem Sinn.

Frankl spricht vom „Willen zum Sinn“ und meint dazu:
...Das heißt, ein Mensch, der auf einen Sinn ausgerichtet ist, diesem Sinn sich verpflichtet fühlt, diesem Sinn gegenüber Verantwortung empfindet, ein solcher Mensch hat unvergleichlich größere Überlebenschancen in Extremsituationen als der durchschnittlich andere.

Und etwas weiter – auf Seite 31 – meint er:
"...In unserem sogenannten wissenschaftlichen Weltbild, das eben rein rational ist, das nur das Wägbare, das Zählbare anerkennt, bleibt ja dieser Wille zum Sinn, dieses Streben über sich selbst hinaus, unberücksichtigt, weil es nicht in dem Kram passt, weil es sich nicht in die Schemata hineinzwängen lässt, denen zufolge der Mensch entweder auf Reize reagiert oder ein die Triebe abreagierendes Wesen ist...

Zur Sinnfindung gesellt sich die Wertfindung.
Beide stehen sie in einer Beziehung zueinander, sind aber nicht immer deckungsgleich.
Werte, darunter versteht man auch wertgerechtes Verhalten, Ethik also, können sich verändern, können der Situation angepaßt werden, sind auch praxisorientiert Sinn und Wert bedingen jedoch einander, sind sie nicht deckungsgleich entstehen Neurosen im weitesten Sinn des Wortes.

Die Wissenschaft kann das Sinn-Problem nicht lösen, andrerseits kann man Sinn nicht definieren, denn es bleibt immer eine restliche Unschärfe. Das ist auch der Grund, warum z.B. Wittgenstein alles was „sinnverdächtig“ ist - Religion, Ethik oder Ästhetik – aus der Wissenschaft ausschließt. Dieser Tatsache verschließt sich auch Frankl nicht, wenn er sagt:
„...da habe ich dargelegt, wozu ich heute noch stehe, dass der Mensch nicht befugt ist zu fragen: ‚Was ist der Sinn des Lebens?’, sondern, dass es das Leben selbst ist, das unentwegt ihn mit Fragen konfrontiert, die er zu beantworten hat. Er ist der Antwortende oder der Antworten-sollende.“

Die Beantwortung der Fragen, die das Leben an uns stellt ist der Sinn unseres Lebens. Damit identifizieren wir uns mit dem gesamten Leben schlecht hin und passen – sofern wir den Sinn akzeptieren. unser Wertesystem der Erhaltung dieses umfassenden Lebens an. Dasselbe meint auch Hans Jonas, wenn er über ein globales Wertessystem nachdenkt, das uns in die Lage versetzt, die Existenz unsrer Welt in all ihren Ausformungen zu erhalten.

Frankl sieht das so:
„...Und kein normaler Mensch, der unverbildet ist, gibt sich zufrieden damit, dass man ihm etwas vorspiegelt. Er will den wirklichen Sinn haben. Und den partikulären Sinn kann er finden. Dass er den letzten Sinn zwar sucht, aber nicht immer findet, zumindest als nichtreligiöser Mensch nicht findet, das gehört zu der „contition humeine“ dazu. Ein Stück Resignation ist in unser Menschenleben eingebaut.“

Soweit Viktor E. Frankl. Er ist neben anderen, wie Hans Jonas, Erich Fromm, Hans Watzlawik, v. Weizsäcker, einer, der über den Menschen und seine Welt Gedanken macht, denn nie waren beide so in Gefahr, wie gerade jetzt.